Der Anfang aller Weisheit, ist die Verwunderung*

Der Anfang aller Weisheit, ist die Verwunderung

Wie kann es sein, dass intelligente Menschen total aneinander vorbeireden? Kennst Du das Gefühl, wenn Du einfach nicht verstanden wirst?

Vor etwa 15 Jahren startete ich das Projekt Consenser.org verdichtet Diskurse, wo sich fachübergreifend Experten jeweils zu einem Thema im virtuellen Philosophischem Café getroffen haben. Wie konnte es sein, dass ein Gehirnforscher, ein Psychologe, ein Physiker einfach aneinander vorbeiredeten, obwohl sie alle Experten in ihrem jeweiligen Fach zum Thema Freien Willen waren? Sie konnten kein gemeinsames Verständnis aufbauen. Das verwunderte mich zu tiefst.

Wissen alleine garantiert kein Verstehen
Mein Blick war geschärft und entdeckte, wie oft Menschen einfach aneinander vorbeireden. Manche merken es, die meistens merken es nicht! Meine Verwunderung wuchs. Ich fing an, nach Antworten zu suchen. Je mehr ich suchte, desto mehr wurde mir bewusst, wie wenig ich wusste. Mein bewusstes Nichtwissenufer stieg mit dem Wachstum meiner Wissensinsel. Gleichzeitig merkte ich, wie festgefahren und überzeugt Menschen mit kleinen Wissensinseln von ihrem eigenen Wissen sind. Doch das traf auch auf Menschen zu, die viel mehr wussten als ich. Wieder war ich verwundert.

Uferkucker sind lernfähig – Inselkucker sind Besserwisser
Erst mit der Einführung der Unterscheidung von Uferkucker und Inselkucker konnte ich mir erklären, warum es nicht auf die Größe der Wissensinsel ankommt, sondern auf die Blickrichtung. Inselkucker ziehen das Bekannte vor, stehen gerne in Kontakt mit Gleichgesinnten, die das eigene Weltbild bestätigen. Uferkucker hingegen sind neugierig und freuen sich über zuvor Unbekanntes, von dem sie etwas lernen können. Uferkucker erweitern ihr Weltbild. Inselkucker ziehen es vor, die eigene Sichtweise zu verteidigen im Gegensatz dazu, andere Sichtweisen nachzuvollziehen. Meine anfängliche Begeisterung des herrschaftsfreien Diskurs von Jürgen Habermas ließ rapide nach, als ich feststellte, dass es jedem freigestellt ist, sich nicht auf die Gedanken des anderen einzulassen. Doch auch Uferkucker können komplett aneinander vorbeireden. Wieder war ich verwundert.

Heute wundert es mich nicht mehr, dass Inselkucker über andere herziehen, dass auch Uferkucker aneinander vorbeireden und dass Kommunikation auch manchmal gelingt!

Jeder ist frei und das ist gut so
Das Nichtwissen einer Person wird immer größer sein, als sein Wissen, egal ob Uferkucker oder Inselkucker. Vor allem steigt das Nichtwissen jeder Person ständig, denn die Lerngeschwindigkeit einer Person ist signifikant langsamer als die explosionsartige Wissensvermehrung in der Welt. Jeder Mensch begegnet mit seinem eigenen winzig kleinem Weltbild der großen weiten Welt. Das private Weltbild ist sehr machtvoll, denn es bestimmt wie eine Person die Welt wahrnimmt und mit welcher Einstellung er anderen begegnet. Das ist der Hebel, um die Anzahl der als wunderschön erlebten Stunden in der Welt zu erhöhen.

Wie sind Partnerschaft, Organisation und Gesellschaft zu denken?
Inspiriert von Psychologie, Wahrheitsphilosophie und der allgemeinen Systemtheorie nach Niklas Luhmann habe ich eigene Gedanken zu Freiheit, Kontrolle, Unterschiedlichkeit und Nichtwissen im Kontext von Beziehungen, Unternehmen, Organisationen, Politik und Gesellschaft. Am Ende geht es um die Stellschrauben der Gesellschaft, die die Anzahl der wunderschön gelebten Stunden in der Welt erhöhen.

*Aristoteles

Wenn Experten die Verantwortung nicht übernehmen wollen und können

Vertrauen

Was ist zu tun, wenn Fach-Experten die Welt verändern, aber nicht die Verantwortung übernehmen wollen und können?

Jürgen Habermas zu der Corona-Krise

Der berühmte Philosoph Jürgen Habermas äußert sich zu der Corona-Krise und dem aktuellen Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen: „So viel Wissen über unser Nichtwissen gab es noch nie

Habermas: Gegenüber den Fachleuten, die lokal und zeitlich entkoppelt Unsicherheit in Teilsystemen der Gesellschaft abarbeiten, verbreitet sich global und gleichzeitig eine existentielle Unsicherheit in den – über Medien vernetzten – Köpfen. Jeder Einzelne wird über die Risiken aufgeklärt. Bei der Bekämpfung der Pandemie ist das Verhalten jeder einzelnen Person die wichtigste Variable, um das Gesundheitssystem funktionsfähig zu halten.

Fach-Experten wirbeln andere Fachbereiche durcheinander

Die lokale Expertise eines Teilsystems der Gesellschaft – die der uneinigen Virologen – beeinflußt das Teilsystem Politik, so dass schnell und tiefgreifende Entscheidungen getroffen werden. Diese politischen Entscheidungen wirken auf das Mediensystem und dies wiederum auf das Verhalten jedes Einzelnen.

Alle Wachstumsprognosen von 2019 für 2020 von ALLEN Wirtschaftsexperten stellen sich heute als falsch heraus. Jürgen Habermas kennt KEINEN Experten, der aktuel die sozialen und wirtschaftlichen Folgen abschätzen kann. Er fasst zusammen: „So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.“ Da wir uns dieses Nichtwissens bewusst sind, ist der erste wichtige Schritt getan. Bei Habermas‘ Hinweis fehlt mir, wie wir dieser Unsicherheit begegnen sollten. Genau mit dieser Frage beschäftige ich mich seit über 15 Jahren und in diesem Beitrag möchte ich einen Lösungs-Gedanken einbringen.

Doch zuvor ein Beispiel warum Fach-Experten auf der einen Seite einen großen Impact haben können und auf der anderen Seite diesen Impact nicht kontrollieren und damit nicht verantwortlich gemacht werden können.

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